WESTWIND-Festival zeigt herausragende Inszenierungen

Westwind

WESTWIND gilt bundesweit als eines der renommiertesten Theaterfestivals für junges Publikum. Es wird jedes Jahr von einem anderen NRW-Theater ausgerichtet. Das Theater Oberhausen freut sich, Gastgeber des 35. Theatertreffens für junges Publikum 2019 zu sein.

Unter dem Motto „Offene Gesellschaft“ treffen sich vom 15. bis 21. Juni 2019 Theatermacherinnen und Theatermacher und ihr Publikum  rund um den Will-Quadflieg-Platz.. Gezeigt werden elf bemerkenswerte Inszenierungen aus NRW und fünf internationale Gastspiele. Darüber hinaus gibt es Nachgespräche, Reflexionen und Begegnungen beim gemeinsamen Kochen, Essen, Installieren und Fabulieren in der Volxküche oder am Theaterstrand.

 

Folgende Theater sind mit ihren Produktionen von der Jury ausgewählt worden: Armada Theater (Velbert), COMEDIA Theater (Köln), Forum Freies Theater Düsseldorf, Junges Schauspielhaus Düsseldorf, KOM‘MA Theater (Duisburg), performing:group (Köln), Rheinisches Landestheater Neuss, Schlosstheater Moers, tanzfuchs PRODUKTION (Köln), Theater Bonn  und theaterkohlenpott (Herne).

Im Rahmen des Festivals findet neben vielen anderen Veranstaltungen am 16. Juni 2019 ein großes Familientheaterfest statt, bei dem Gastproduktionen aus El Salvador, Frankreich, Nicaragua und NRW gezeigt werden.  Sachenerfinder Jens Burde wird mit den Besucherinnen und Besuchern an einer Brücke aus Holz, einem Iglu aus Pappe oder einem Tipi aus Bambus bauen, und in der Volxküche kocht Wam Kat mit der Fläming Kitchen gemeinsam mit den Gästen. Drei der internationalen Gruppen werden während des Festivals künstlerische Kooperationen mit Oberhausener Jugendlichen eingehen und an eigenständigen Projekten arbeiten, die im Rahmenprogramm präsentiert werden.


Die Jury

Agnes Lampkin (Schauspielerin), Stefan Keim (Kulturjournalist), Romi Domkowsky und Florian Fiedler (mit einer Stimme für den Ausrichter, Theater Oberhausen)


Förderer und Unterstützer

Freundeskreis Theater für Oberhausen e.V., Kunststiftung NRW, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Stadt Oberhausen, trailer, kultur.west

Die Auswahl der Jury


Papierstück
tanzfuchs Produktion, Köln in Kooperation mit tanzhaus nrw
Choreografie: Barbara Fuchs

Wie ein Alleinunterhalter auf einer Piazza empfängt uns der Musiker Jörg Ritzenhoff mit seinem Keyboard, sympathisch eine kleine Melodie mitsingend. Die Melodie verschwindet bald, Geräusche bleiben. Papiergeräusche. Durch Falten und Auseinanderziehen entstehen Rhythmen, durch Reiben ein Shuffle-Geräusch. Zwei Blätter Papier sind schon ein Schlagzeug. Oder ein Ratschzeug. Die Tänzerin Sonia Mota und Jörg Ritzenhoff machen Papiermusik und Papiertanz. Und so verwandeln die Zwei nicht nur Papier, sondern das Papier verwandelt auch sie, wenn sie zum Beispiel in riesigen Tüten verschwinden. Sie lassen weiße Papierbahnen fliegen, finden immer neue Bilder. Barbara Fuchs hat mit dem „Papierstück“ ein szenisches Konzert choreographiert.
Die Aufführung hat eine unglaublich liebevolle, dem Publikum zugewandte Atmosphäre. Sie funktioniert für die Jüngsten und für jedes andere Alter auch. Hier herrscht das pure Spiel, flirrende Kreativität, Heiterkeit, Unsinn, Freiheit. Höchste Kunst!


Der kleine schwarzer Fisch
Armada Theater, Velbert
Regie: Claudia Gohmert und Michael Zier

Ein kleiner schwarzer Fisch will die Welt erkunden und fragt sich, wo wohl der Bach endet, in dem er schwimmt. Als das Fernweh unerträglich wird, macht er sich trotz der Warnung seiner tierischen Gefährten auf die Reise aus dem Bach, in den Teich, durch den Fluss bis hin ins Meer, um mutig Neues kennenzulernen. Er erlebt große Gefahren hautnah, zum Beispiel als er im Schnabel eines Pelikans landet. Die Bühne wird durch Licht und Schatten stimmungsvoll mit wunderschönen Effekten bespielt. Äußerst zauberhaft ist die Musik von Michael Zier, der mit großer Wandlungsfähigkeit zahlreiche Figuren des Stücks spielt und diese gleichzeitig virtuos mit Instrumenten begleitet. Clara Gohmert schwimmt und forscht durch alle Gewässer. Sie bewegt sich frei wie ein kleiner schwarzer Fisch im Wasser. Spätestens in der Tiefe des Meeres, angelangt bei Tausenden tanzenden Fischen, möchte man am liebsten mitschwimmen.


Elisa und die Schwäne
Schlosstheater Moers
Regie: Catharina Fillers

Ein klassisches Märchen, die Brüder Grimm und Hans-Christian Andersen haben es aufgeschrieben. Sechs Brüder werden in Schwäne verwandelt, ihre einzige Schwester ist auch ihre einzige Hoffnung. Elisa muss in sechs Jahren sechs Hemden weben und so lange schweigen. Als sie einen tollen Prinzen kennenlernt, wird es besonders schwer, die Klappe zu halten. Zwischen dem in Hufeisenform sitzenden Publikum steht ein Berg aus Stühlen. Das ist der Mittelpunkt des Bühnenbildes. Auf diesem Stühlebaum wartet Elisa schließlich auf die Rückkehr ihrer Brüder, eine sehr menschliche Heldin, die sich nicht von ihrem Ziel abbringen lässt und dennoch Gefühle und sogar die Liebe zulässt.
Catharina Fillers unterläuft die Klischees mit Witz, Charme und Musikalität. Elisa Reining und Roman Mucha spielen mit sprudelnder Energie alle Rollen und gehen auch spontan auf Zwischenrufe des Publikums ein. Gegenwärtiger können Märchen nicht sein.


Das doppelte Lottchen
COMEDIA Theater, Köln
Regie: Frank Hörner

Erich Kästners Klassiker bekommt in der Fassung von Jutta M. Staerk und der Inszenierung von Frank Hörner eine überraschende Rahmenhandlung. Drei Insassen einer Justizvollzugsanstalt spielen „Das doppelte Lottchen“ unter Leitung ihrer mitspielenden Aufseherin. Eine herrliche Grundlage für ein wunderbares Zusammenspiel des Ensembles. Die Vier schlüpfen voller Spielwitz in die  Rollen von Mutter, Vater, Geliebter, Künstler, Hund oder Justizvollzugsbeamtin mit theaterpädagogischen Ambitionen – unaufwändig und effektiv. Musikalität und Timing sowie Sound und Bühne gehen atmosphärisch fließend ineinander über. Alle tragen dasselbe Kostüm plus Perücke – äußerlich sind sie fast gleich. Und so lassen sie uns an der Vielfältigkeit des möglichen Patchworks teilhaben. Zwei Schauspieler im besten Alter spielen die Zwillingsmädchen. Und warum? Weil sie’s können!


Sophie und das geheimnisvolle Flüstern der Welt
Theater Bonn
Regie: Sebastian Bauer

Die Geschichte lieferte Roald Dahl: Sophiechen kann nicht schlafen. Sie liegt im Bett und lauscht auf die kleinsten Geräusche. Dann gehen die Bilder im Kopf los. Sie wünscht sich riesige Ohren, um noch mehr wahrnehmen zu können. Doch irgendwann verschwimmen die Grenzen. Sind die Dinge, die sie hört, noch wirklich? Oder ist sie schon in eine Traumwelt entrückt? Sophie begegnet einem Riesen, der sie mit ins Land der Riesen nimmt.
Im wunderbaren Zusammenspiel lassen die Schauspielerin Nadine Schwitter und der Musiker Matthias Muche eine ganz eigene Welt entstehen, gespenstisch und überwältigend, zwischen Traum und Wirklichkeit. Unfassbar, welche Laute Matthias Muche aus der Posaune (und aus allem anderen, was sich bespielen lässt) hervorbringt. Er wispert, klappert, brüllt und lacht mit seinem Instrument – immer perfekt verzahnt mit der faszinierenden Geschichte. „Sophie und das geheimnisvolle Flüstern dieser Welt“ ist leises, poetisches, philosophisches Kindertheater - eine Kostbarkeit!


The Superhero Piece
performing:group, Köln in Kooperation mit tanzhaus nrw und tanzfaktur, Köln
Regie: Leandro Kees

Mit einer grandiosen Lightshow und Actionfiguren beginnt das Stück der performing:group. Es geht um Superhelden, die seit vielen Jahren die Kinos dominieren. Um unsere Faszination für Menschen mit Superkräften, die die Welt retten. Aber auch um ihre menschliche Seite.
Dass Superhelden keine muskelmännliche Domäne mehr sind, haben im Film schon Captain Marvel und Wonder Woman bewiesen. In wilden Kampfszenen sind Frau und Mann auch auf der Bühne auf einem Level. Bianca Sere Pulungan und Constantin Hochkeppel bilden in der Choreographie von Leandro Kees immer wieder eine kraftvolle Einheit und spalten sich wieder in Individuen, die mit dem Alltag klarkommen müssen. Es geht um Schmerzempfindlichkeit, Angeberei und Momente der Schwäche. Vor allem ist die Performance enorm kurzweilig und unterhaltsam. Wie man mit Taschenlampen eine sagenhafte Verfolgungsjagd auf die Bühne zaubert, gehört zu den irrsten Momenten dieser tollen Inszenierung.


Jugend ohne Gott
Junges Schauspielhaus Düsseldorf
Regie: Kristo Šagor

Die Bühne ist eine rechteckige Spielfläche auf Federn. Sie neigt sich zu der Seite, auf der am meisten Gewicht lastet. Die Schauspielerinnen und Schauspieler müssen ständig darauf achten, nicht zu straucheln. Sie können sich auf den Boden unter ihren Füßen nicht verlassen. Das ist eine perfekte Grundsituation, um Ödön von Horváths Roman „Jugend ohne Gott“ auf die Bühne zu bringen. Denn hier geht es um einen Lehrer und eine ganze Generation von Jugendlichen, die den Halt verlieren. Meinungsfreiheit und Demokratie verschwinden.
Regisseur Kristo Šagor lässt mit Ausnahme des Lehrers alle Rollen von allen spielen. Fließend wechseln die Schauspielerinnen und Schauspieler die Figuren, während sie die Geschichte vorantreiben. Und es gibt packende Situationen. Denn das Stück ist auch ein Krimi. Alle Schüler werden nur mit Buchstaben bezeichnet, auch der Lehrer heißt nur „Lehrer“. Das passt zu einer Gesellschaft, in der der/die Einzelne wenig zählt und in der es einem Kampf gleichkommt, man selbst sein zu dürfen.


FLIRT
Forum Freies Theater Düsseldorf
Regie: Wera Mahne

Wera Mahne hat mit ihrem Ensemble aus hörenden und gehörlosen Schauspielerinnen und Schauspielern einen der kompliziertesten Vorgänge überhaupt erforscht – den Flirt als Beginn einer Beziehung, der nicht selten zugleich ihr Ende ist. Es geht um Blicke, Begegnungen, Berührungen, Missverständnisse. Das Ensemble spielt mit Geschlechterklischees, lockt und verlockt, umarmt sich, stößt sich ab, öffnet sich dem Publikum. Ob Flirtseminar oder Spielshow „Bin ich cool?“ – Laut- und Gebärdensprache stehen als jeweils eigenständige Kommunikationsformen neben der Körpersprache, werden miteinander verwoben, ergänzen sich. Hier wird nicht übersetzt! Suche deinen eigenen Kontakt zum Gegenüber! Am Ende der Aufführung gibt es eine Party auf der Bühne, zu der alle eingeladen sind. Man kann Selfies schießen, Smoothies trinken, mit den Darstellerinnen und Darstellern kommunizieren. FLIRT ist eine mitreißende Inszenierung, die Fröhlichkeit und Komplexität verbindet, eine sinnliche Recherche voller Spielwitz und Leichtigkeit.


Funny Girl
theaterkohlenpott, Herne
Regie: Frank Hörner

Eine Stand-Up-Komikerin in Burka steht vor dem Publikum. Nicht um blöde Witze über strenggläubige Muslime zu machen. Im Gegenteil. Azime, die in der Burka steckt, kommt aus einer kurdischen Familie, die mit solchen Bühnenshows überhaupt nichts anfangen kann. Sie muss kämpfen, um ihren Traum durchzusetzen.
Sibel Polat spielt die Hauptrolle in Anthony McCartens Stück „Funny Girl“, eine junge Schauspielerin, die gerade sehr häufig im NRW-Kinder- und Jugendtheater zu sehen ist. In ihrem Spiel steckt viel Offenheit und Verletzbarkeit, aber auch eine große innere Stärke. Frank Hörner hat das Stück auf der Kippe zwischen Realismus und Fantasie erzählt. Die Gefühle bleiben echt und nachvollziehbar, die Kostüme und Requisiten sind, passend zur Comedyszene, ein bisschen schräg und schrill. Und das Finale ist grandios, wenn Azime dann in ihrer Burka auf einer großen Bühne steht.


Shame, shame but different
KOM’MA Theater, eine Produktion des Theaterkollektivs Kopierwerk in Koproduktion mit AGORA Theater St. Vith/ Belgien
Regie: René Linke

Es gibt viele  Gründe, die Gruppe um den Regisseur René Linke zum WESTWIND-Festival einzuladen. Sechs davon heißen: Laura Brinkmann, Esther Butt, Leon Frisch, Moritz Rüge, Annika Schmidt und Laura Thomas.
Diese wunderbare Inszenierung erzählt von ganz individuellen Momenten der Scham – auf eine gänzlich schamlose, aber sehr charmante Art und Weise. Es gibt Selbstgeständnisse, Erklärungen, Versuche, peinlich zu sein, religiöse Herleitungen. assoziative Choreografien und präzise Chöre wechseln sich mit stark gespielten Monologen ab. Barfüßig und mit Camouflagehosen zieht das Ensemble in den Kampf gegen die Scham. Diesen gewinnt es durch sein tolles Zusammenspiel, seinen Mut, seine Ehrlichkeit, seinen Humor und seine Tiefe. Einnässen, verfrühtes Kommen, Erröten, Schwitzen, Schamlippen, Cellulite, Onanie: hundert Gründe sich zu schämen, die aber durch die Scham hindurch sehr persönlich aufgegriffen werden, während das Ensemble sich gegenseitig stützt und durch diese Inszenierung trägt.


Tāwle - Am Kopf des Tisches
Rheinisches Landestheater Neuss
Regie: Julia-Huda Nahas

Das Ziel des Spiels Tāwle ist es, alle seine Steine in das eigenes Feld zu bringen, wo sie vor dem Zugriff der Gegnerinnnen, der Gegner sicher sind. Das Ziel von Nikola ist, die fünf Verwandten auszuwählen, die auf sicherem Weg von Syrien nach Deutschland kommen können.
Autorin und Regisseurin Julia-Huda Nahas gelingt es mit ihrem präzis recherchierten Stück, dass auch wir am Spieltisch Platz nehmen. Welche/welcher Verwandte hat es verdient, das Ticket ins Exil zu bekommen? Pablo Guaneme Pinilla spielt Nikola mit aller Wut der Verzweiflung über die schiere Unmöglichkeit, den Wust der Bürokratie zu bewältigen. Die Verantwortung, die richtige Wahl zu treffen, lastet auf ihm. Er entscheidet, wer aus dem Kriegsland herauskommen kann. Dies spielt er absolut glaubhaft und eindringlich. Und wir dürfen zuschauen, wie er vor jedem Zug die Konsequenzen abwägt. Ein Kammerstück zum Mitdenken und Mitfühlen. Dank des feinen Perspektivwechsels trägt diese Aufführung dazu bei, Menschen statt nur Geflüchtete zu sehen.